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Der Verfassungsschutz - Staat im Staate

Die Mordserie der Thüringer Neonazi-Bande wirft ein grelles Licht auf unseren Verfassungsschutz.
Was machten die Herren mit den Schlapphüten, die uns und unsere Verfassung schützen sollen?
Was haben sie gewusst von den Taten der braunen Mordbande? Wie konnte es geschehen, dass
einschlägig bekannte Täter unter den Augen des Verfassungsschutzes für einige Jahre ganz
plötzlich untertauchten? Von einem Tag auf den anderen. Und das angeblich spurlos. Was ist dran
an der Information, dass ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bei einigen Morden in Tatortnähe
gewesen sein soll. Alles reiner Zufall? Unsere Schlapphüte komplett ahnungslos? Man muss die
ganz speziellen Strukturen des deutschen Verfassungsschutzes kennen, um die Vorgänge, die nun
eruptiv hochkochen, einordnen und verstehen zu können. Was macht der deutsche Verfassungs-
schutz? Was kann der deutsche Verfassungsschutz? Wie ist er in unserem Rechtsstaat aufgestellt?

Die deutschen Verfassungsschützer haben sich um mögliche Gefahrenquellen zu kümmern, die sie
- selbstredend - abwehren müssen. Dazu zählen beispielsweise ,,extremistische Bestrebungen, die
zu direkten Schäden von Institutionen und ihren Repräsentanten führen können"
. Sie sind - selbst-
verständlich - auch dann zuständig, wenn ,,fremde Dienste geheimhaltungsbedürftige Informationen
(unseres Staates) ausforschen wollen"
. Für das, was die Neonazis in den letzten Jahren taten, ist der
Verfassungsschutz natürlich ebenfalls zuständig. Keine Frage. Als besondere spezifische Stärke
bewerten die Verfassungsschützer selbst ,,ihr umfangreiches Wissen und ihre hohe analytische
Kompetenz sowohl im Bereich des politischen Extremismus als auch dem der Spionageabwehr"
.

Um den Schutz der Bürger und des Staates zu gewährleisten, hat man dem Verfassungsschutz
einige ganz spezielle Hilfsmittel an die Hand gegeben. Eine der ,,spezifischen Stärken des
Verfassungsschutzes"
ist nach eigenen Angaben die Tatsache, dass man ,,eigenständige
Vertraulichkeitszusagen"
geben kann. Das heißt nichts anderes, als dass die Verfassungsschützer
jedweden Ganoven anheuern können, damit er fürderhin für sie und unseren Staat arbeitet. Dazu
bedarf es weder einer richterlichen Genehmigung noch der Zustimmung einer übergeordneten
Behörde. Die Herren sind völlig frei in der Entscheidung, wen sie für sich arbeiten lassen wollen.

Damit sie das alles mit reinem Gewissen tun können, gab man ihnen ein weiteres, noch spezielleres
juristisches Werkzeug an die Hand. Die Beschützer unserer Verfassung haben ,,keinen Straf-
verfolgungszwang"
. Das ist immer dann extrem praktisch, wenn der angeheuerte Ganove mal über
die Stränge schlägt und mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Bei Lichte betrachtet, ist das zwar nicht
die Lizenz zum Töten, á la James Bond 007, kommt dem allerdings recht nahe. Wer weiß denn
schon, wer oder was die Zöglinge des Verfassungsschutzes motiviert, wenn sie im Dienst für die
Behörde auf kriminellen Pfaden wandeln? Wer steuert die Informanten? Wer gibt die Ziele vor?

Das aus rechtsstaatlicher Sicht mehr als bedenkliche Paket aus eigenständigen Vertraulichkeits-
zusagen und ausgeschaltetem Strafverfolgungszwang wird umrahmt von ,,strengen Geheimschutz-
vorschriften"
und einer ,,großen Datensicherheit". Unsere Schlapphüte sind damit quasi von
unserem Rechtssystem abgekoppelt. Sie können in der Folge tun - oder auch lassen -, was immer sie
wollen. Eine wirksame staatliche Kontrolle ist vor diesem Hintergrund nahezu unmöglich. Zum
Schutz ihrer Informanten und zur Einhaltung der Vertraulichkeitszusage sind die Verfassungs-
schützer beispielsweise geradezu verpflichtet, zu lügen. Hinzu kommt ,,eine familiäre Personal-
struktur"
innerhalb der Behörde, so ein hochrangiger Verfassungsschützer. Viele Mitarbeiter
dienten der Geheimbehörde von der Lehre bis zur Pensionierung. Zuweilen gar über Generationen
hinweg. Die Fluktuation sei außerordentlich gering. Eine verschwiegene Truppe. Man kennt sich.

Kennen unsere Politiker diese Zusammenhänge? Ist diese rechtsstaatlich geradezu unsittliche Kom-
bination gewollt? Wurden bei der Aufstellung des Verfassungsschutzes die Folgen dieser Struktur
übersehen oder hat sich der Gesetzgeber etwas dabei gedacht? Wenn ja, was? Kann eine solche
Organisation uns und unsere Verfassung schützen oder ist sie ein un-heimlicher Staat im Staate?

Peine, den 16. November 2011 gez.: Prof. Dr. Hans-Joachim Selenz

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