Herkules Wulff und der VW-Misthaufen

12. Januar 2006. Die IHK Lüneburg-Wolfsburg begeht ihren Jahresempfang. 350 Vertreter aus
Wirtschaft, Politik und Verwaltung erleben einen aufgekratzten Ministerpräsidenten. Das Thema
seines Vortrages: ,,Dynamisches Niedersachsen ­ mit Mut Probleme überwinden". Der MP ist in
Bestform. Seine Regierungszeit sei von Anfang an ein Erfolg für das Land. Nicht nur die Entbüro-
kratisierung und Modernisierung der Verwaltung schreibe sich seine Regierung auf die Fahnen.
Besonders wichtig sei ihm die Senkung der Neuverschuldung. Die habe man um 350 Mio. Euro
pro Jahr reduziert. Wulff spart nicht mit Lob: ,,Wir sind froh, dass wir die Kammer als Partner
haben bei dem, was in diesem Land passiert." Der Landesvater verbreitet tiefschürfende Lebens-
weisheiten: ,,Mut einzelner bewirkt überhaupt nichts", erklärt er seinen Landeskindern. ,,Aber der
Mut vieler ist doch in der Demokratie eine große Chance, die etwas Mutloseren anzustecken und
mitzunehmen auf dem Weg der Veränderung, vor dem sich viele fürchten." Starker Applaus. Bei
so viel offensichtlicher Sympathie wandelt sich Wulffs Mut alsbald in Übermut. Er redet sich den
Ärger über die täglich neuen VW-Skandal-Geschichten von der Seele. Wulff gibt tiefe Einblicke
in die Zustände beim Landesunternehmen VW. Dort sitzt er im Aufsichtsrat. Sogar im Präsidium.
Nach abfälligen Bemerkungen zum Führungspersonal legt Wulff richtig los und kommt schon
bald auf den Punkt. ,,Bei VW sollte man ausmisten, indem man den Mittellandkanal von oben in
das Verwaltungsgebäude einleitet." Das sitzt. Herkules und die Augias-Ställe lassen grüßen. Der
Saal kocht. Die Honoratioren feixen. Klatschen sich vor Freude auf die Schenkel. Man kennt die
Verhältnisse bei VW nur zu gut. Jeder weiß, dass es dort stinkt. Aber dass ausgerechnet Wulff, der
listige Polit-Taktiker, sich derartig scharf äußert, überrascht dann doch. Der Mann weiß offen-
sichtlich sehr viel mehr als viele im Saal. Und Wulff muss sich furchtbar geärgert haben. Anson-
sten wären solche Aussagen bei ihm undenkbar. Inzwischen ist klar, was der MP damals wusste.

Wulff hatte die LKA-Protokolle der Vernehmung des Herrn Dr. Schuster - drei Wochen zuvor -
gelesen. Schuster, der Auslöser der VW-Affäre, hatte bei seiner Vernehmung die Hintergründe der
VW-Affäre aufgedeckt. Komplett. Von der Reiseplanung bis zu deren Abrechnung. Schmutzige
Belege beispielsweise sollten auf das Konto 1860 gebucht werden. Begründung: ,,Da schaut die
Revision nicht so genau hin." KPMG fand auf diesem Konto Original-Bordellbelege. Über Jahre.
Die VW-Wirtschaftsprüfer von PwC, die VW-Revision und das örtliche Finanzamt drückten beide
Augen zu. Über Jahre. Der STERN hatte schon im Herbst 2005 die Frage gestellt, ,,Reichte der
VW-Filz bis in die Justiz?" Da war bekannt geworden, dass die Justiz in Hannover schon seit dem
Jahr 2000 von den Bordell-Geschichten des VW-Aufsichtsrates Volkert wusste. Im Jahre 2001
war der Konzern informiert worden. Geschehen war nichts. Nicht einmal die Revision war einge-
schaltet worden. Der Leiter der VW-Zahlstelle hatte sogar bereits im Jahre 1997 schriftlich festge-
halten, bei Gebauers Reisekosten ,,keine Verantwortung für Inhalt und Umfang" zu übernehmen.

Für eine Firma in Landesbesitz war der VW-Skandal und sein jahrelanges juristisches Aussitzen
eine einzige Katastrophe. Die Fälle Nord LB und Preussag/TUI ließen grüßen. Das wurde Herku-
les Wulff sehr bald nach seinem forschen IHK-Auftritt klar. Wie sollte man den Landeskindern
erklären, dass die Landesjustiz bei Landesunternehmen abgeschaltet ist. Daher war statt aktiver
Reinigung doch besser Schweigen angesagt. Im Interesse des Landes. Wozu gibt es schließlich
weisungsgebundene Staatsanwälte? ,,*Jeder Staatsanwalt hat als Vorgesetzten einen weisungs-
berechtigten Abteilungsleiter, der wiederum hat einen weisungsberechtigten Behördenleiter, der
Behördenleiter unterliegt den Weisungen des Generalstaatsanwaltes und der Generalstaatsanwalt
schließlich hat den Anweisungen des Justizministers zu folgen. Diese Anordnungsbefugnis der
Exekutive gegenüber den Staatsanwälten hat in den Jahren ab 1933 dazu geführt, dass die Ver-
brechen der Nationalsozialisten nicht strafrechtlich geahndet wurden. Die weisungsgebundenen
Staatsanwälte durften derartige Verbrechen nicht anklagen. Das Rechtssystem, das damals die
Staatsanwälte an ihrer Arbeit gehindert hat, existiert als solches immer noch."
Und so kam es,
dass Herkules Wulff der Mut verließ und er auch heute noch auf dem VW-Misthaufen sitzt...
(*,,Die Abhängigkeit unserer Justiz" N. Schlepp in Mehr Demokratie - Zeitschrift für direkte Demokratie -77- 1/08)

Peine, den 29. April 2009 gez.: Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz


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