(Siehe auch Selenz` Kommentare ,,Börsen-Blasen" 9. 6. 2005 und ,,Inter-Continental" 24.11. 2005)
Die Aufbesserung der Siemens-Vorstandsgehälter um satte 30 Prozent sorgt für Schlagzeilen. Es
hagelt Kritik aus - fast - allen politischen und gesellschaftlichen Ecken. Bundestagsvizepräsident
Thierse bezeichnet den Schluck aus der Gehalts-Pulle als ,,asozial". Saarland-MP Müller nennt
ihn ,,verwerflich und geschmacklos". SPD-Wirtschaftsspecher Wend findet, dass dies Verhalten
,,ausschließlich den persönlichen Vorteil im Blick zu haben, das Vertrauen in die soziale Markt-
wirtschaft schwächt". CSU-Chef Stoiber spricht von einem ,,außerordentlich bedauerlichen
Vorgang". Er wirft der Siemens-Chefetage ,,Instinktlosigkeit" vor. Doch welcher Instinkt war
den verantwortlichen Siemens-Managern abhanden gekommen? Was steckt hinter dieser durch-
aus bemerkenswerten Anhebung des nicht eben geringen Top-Salärs? Ein Blick hinter die Kulis-
sen macht klar, dass Herr von Pierer durchaus seinen Instinkten folgt. Nur welche sind das?
Herr v. Pierer folgt instinktsicher neuen Pfaden deutscher Vorstände und Aufsichtsräte in den zu
Selbstbedienungsläden mutierten großen Aktiengesellschaften. Wer wäre nicht gern Kunde in
einem SB-Laden ohne Kasse am Ausgang? Kaufen nach Wunschliste. Man nimmt den Einkaufs-
wagen und zieht von Regal zu Regal. Selbst an der Fleischtheke ,,darf´s ein bisschen mehr" sein.
Die einzige Begrenzung der Wunschliste ist die Größe des Kofferraums. Dienstwagen haben
große Kofferräume. Horrorvision? Keineswegs! Deutsche Aktiengesellschaften entwickeln sich
tatsächlich immer mehr zu SB-Läden ihrer Organe. Bei Siemens bediente man sich sogar aus
dem Immobilienbesitz. Natürlich zum Buchwert. Man gönnt sich ja sonst nichts. Vorstände und
Aufsichtsräte vergreifen sich immer hemmungsloser am Vermögen der ihnen anvertrauten Ge-
sellschaften. Der Aufsichtsrat erhöht dem Vorstand das Gehalt. Der bedankt sich artig durch An-
hebung der Aufsichtsratsvergütung. Die Spirale der Maßlosigkeit hat kein Ende. Raff-Instinkte -
unkontrolliert ausgelebt. Der Blick über den großen Teich entfachte die aktuelle Raff-Hysterie.
Amerikanische Gagen zu deutschen Vertragskonditionen. Das Beste aus beiden Welten. Inzwi-
schen hangelt man sich zu immer neuen Traumgagen - mit dem Verweis, andere trieben es noch
doller. Eine Hand wäscht die andere. Instinktsicher! Und zudem völlig gefahrlos. Ein deutscher
Vorstand hat - im Gegensatz zu einem mittelständischen Unternehmer - nichts zu befürchten.
Selbst wenn er das Unternehmen an die Wand fährt. Besitzer der SB-Läden sind nämlich
- eigentlich - die Aktionäre. Eine wirksame Kontrolle findet indes schon lange nicht mehr statt.
Und so steigt das Salär der AG-Organe dynamisch weiter. Völlig losgelöst von der Ergebnissi-
tuation der Unternehmen. Im Mittelstand gilt derartiges Handeln als obszön. Manche Organe
füllen die SB-Regale sogar mit Hilfe bestochener Wirtschaftsprüfer. Darüber wacht - eigentlich -
als Kontrollinstanz das Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht - BAFin. Das ist indes, wie
man inzwischen weiß, mit internen SB-Aktionen mehr als ausgelastet. Doch zurück zu Siemens.
Kaum hatte der neue Vorstands-Chef Kleinfeld das Ruder von Vorgänger v. Pierer übernommen
griff er zum Skalpell. Von Pierer hatte sich derweil in den Aufsichtsrat verabschiedet. So hat er
seinen Nachfolger besser unter Kontrolle. Die Welt-Firma Siemens übergab ihre Handy-Sparte
an die taiwanesische Firma BenQ. Gegen Zuzahlung von 350 Mio. Euro. 1,5 Mio. Euro Verlust
hatte die High-Tech-Sparte vor dem Verkauf erwirtschaftet. Pro Tag versteht sich. Die Taiwane-
sen tun sich schwer mit der Sanierung der noch von Kleinfelds Vorgänger v. Pierer in die roten
Zahlen gewirtschafteten Sparte. Die Zukunft der 6.000 Mitarbeiter ist ebenso offen, wie die der
deutschen Produktionsstandorte. Auch das Abstoßen anderer ,,Problemfelder" brachte Siemens
nicht richtig in Schwung. Während der Dax um 41 Prozent stieg, waren es bei Siemens nur 9
Prozent. Eine derart massive Gehaltssteigerung ist vor diesem Hintergrund nur schwer vermittel-
bar. Von Pierer hat daher sogar Gutachten eingeholt. Stets probates Mittel, um - instinktsicher -
von eigener Verantwortung abzulenken. Die Instinkte haben ihn also nicht verlassen. Was ihn
indes verlassen hat - und da befindet sich v. Pierer in bester Gesellschaft - ist die Bodenhaftung.
Peine, den 25. September 2006 gez.: Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz