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Genosse Gabriel und der Anstand

Siehe auch Selenz` Kommentar 09.Febrauer 2005: ,,Genosse Gabriel" und die Lüge

Der Wahlkampf an Rhein und Ruhr tritt in seine harte Phase. Die politischen Gegner dreschen
hemmungslos aufeinander ein. Die Wortwahl wird von Tag zu Tag schärfer. An vorderster Front
der neue SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er überzieht den politischen Gegner mit wüsten Beschimp-
fungen. Gabriel schlägt gnadenlos zu, wenn er es für opportun hält und ebenso gnadenlos zurück,
wenn man ihn provoziert. Die Kanzlerin zieh er in der Debatte um das Griechenland-Desaster
jüngst der Lüge. NRW-MP Rüttgers sprach er gar den Anstand ab (siehe WamS 28. März 2010).
Der hatte ihn indes hart angegriffen und als ,,hemmungslos, charakterlos" und als ,,eine Schande
für die deutsche Politik" bezeichnet. Das wiederum hatte Gabriel provoziert: ,,Ich kann mir zum
Beispiel nicht vorstellen, meine Amtszeit zu verkaufen. Er (Rüttgers) scheint mir jeden bürger-
lichen Anstand verloren zu haben ­ auch in seiner Wortwahl." Doch gemach. Hat Gabriel tat-
sächlich Grund zu schäumen? Wirft da jemand mit groben Steinen, der selbst im Glashaus sitzt?
Wie sieht es aus mit dem bürgerlichen Anstand von Sigmar Gabriel? Ein kurzer Blick zurück:

Sigmar Gabriel, das Stehauf-Männchen der SPD, hat eine bewegte Historie. Nach seiner Abwahl
als Niedersachsen-MP im Frühjahr 2003 trieb er zunächst ein lukratives Doppelspiel in Politik
und Wirtschaft. Gabriel war nicht nur Mitglied des Landtags, sondern zugleich Chef der SPD-
Fraktion. Dies Amt gilt für gewöhnlich als absoluter Full-Time-Job und wird daher mit höheren
Diäten vergolten. Doch bei Oppositionschef Gabriel kam Langeweile auf. Er suchte nach Zusatz-
beschäftigung. Flugs gründete er eine Firma. Nicht jedoch in Goslar, seiner Heimatstadt, da wo
ihn jeder kennt, sondern in Halle an der Saale. Tätigkeitsfeld: Unternehmensberatung. Ein Unter-
nehmen, das dringend Beratung suchte, war ebenso flugs gefunden: Die Volkswagen AG. Dort
saß Gabriel zuvor im Aufsichtsrat. Seine Lebensabschnittsgefährtin war bei VW bereits versorgt.
Sie war beim Genossen Hartz untergekommen. Seine SPD-Fraktion hatte er nicht informiert. Die
fiel aus allen Wolken, als herauskam, was Genosse Gabriel in seiner Amtszeit so alles machte.
Auch die Basis rebellierte. Die Braunschweiger Zeitung berichtete am 2. März 2005 vom Unter-
bezirksparteitag in Adenbüttel. Dort kochte die Stimmung der Genossen: ,,Du hast der SPD mit
Deiner Briefkastenfirma sehr geschadet", wetterte Wolfgang H. vom Ortsverein Hankensbüttel,
,,ein Rücktritt wäre moralisch richtig gewesen." Doch Gabriel, der ,,konservativen Kampagne"
wegen seiner ehemaligen Nebentätigkeit mittlerweile leid, konterte: ,,Du bist zu weit gegangen
und musst schon bei der Wahrheit bleiben. Ich habe nichts Strafbares begangen. Ich habe eine
Firma gegründet, die für VW gearbeitet hat, das ist was anderes als Kinderpornographie!"

Gabriel beantragte später eine einstweilige Verfügung gegen das ,,Schwarzbuch VW". Da ging
es um seine Tätigkeit für VW während seiner Amtszeit als SPD-Fraktionschef. Die Verfügung
erhielt er mit einer falschen eidesstattlichen Erklärung. Das stellte sich bei Überprüfung seiner
Angaben heraus. Gabriel hatte seine Beratungsfirma früher gegründet als er es dem Landtags-
Präsidenten gemeldet hatte. Der hatte auf Basis von Gabriels falschen Angaben eine Pressemit-
teilung über dessen Neben-Tätigkeit abgegeben. Diese hatte Gabriel in seiner eidesstattlichen
Erklärung dreist zitiert. Eine Strafanzeige gegen ihn verlief allerdings ,,im Sande". Staatsanwalt
im Sande von der Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte das Verfahren gegen Bundesminister
Gabriel ein. Dabei hatte er nicht einmal die Daten korrekt geprüft. Eine Strafanzeige, auch gegen
die Staatsanwälte, stoppte schließlich Braunschweigs Generalstaatsanwalt Wolf: ,,Es muss bei
der von der Staatsanwaltschaft Braunschweig verfügten Einstellung des Verfahrens bleiben."

Kurz vor der letzten Bundestagswahl erreichte Bundesminister Gabriel ein anonymer Anruf. Im
Ortsverband Salzgitter gäbe es einen Fall von Kinderpornographie. Der Minister sprach flugs mit
seinem Parteigenossen und befragte ihn. Noch bevor Polizei und Staatsanwaltschaft eine Haus-
durchsuchung durchgeführt hatten. Danach rief er Generalstaatsanwalt Wolf an. Nachdem die
Braunschweiger Zeitung darüber berichtet hatte, sagte Wolf zu diesem Fall dreistester Selbst-
justiz: ,,Es war das einzig Richtige, was er machen konnte." Mit Staatsanwälten wie im Sande
und Wolf, sowie Politikern wie Gabriel bleibt am Ende nicht nur der Anstand auf der Strecke.

Peine, den 6. Mai 2010 gez.: Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz

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